Stand: 17.08.2017
Autor: Alexander
Im wilden Westen kann es auch mal ohne Schießerei vonstatten gehen – zumindest im Expertenspiel Great Western Trail vom Autor Alexander Pfister. Als Viehzüchter im 19. Jahrhundert geht es quer durchs Land von Texas nach Kansas City, um dort unsere wertvollen Herden Richtung Westen zu verfrachten.
Das Spiel besteht aus zwei Kernmechanismen und verwebt diese effektiv miteinander. Zum einen hat jeder Spieler sein eigenes, zu Beginn des Spiels identisches Kartendeck verschiedener Rinder im Wert bis zwei. Dieses gilt es, ganz gemäß dem Deckbuilding, mit der Zeit aufzuwerten und zu verbessern. Als zweite Komponente kommt ein Worker Movement hinzu, bei dem wir unsere Spielfigur immer eine bestimmte Anzahl an Aktionsfeldern weit über den Spielplan ziehen, um die Aktion des Feldes, auf dem wir stehen bleiben, auszuführen.
Dabei gibt es verschiedene Aktionsfelder, die hier thematisch passend als Häuser entlang des Weges auf dem Pfad platziert werden. Zu Beginn liegen nur neutrale Gebäudeplättchen auf dem Spielplan; mit der Zeit kommen jedoch auch noch persönliche Aktionsfelder hinzu. Diese können nur von dem Spieler, der sie erbaut hat, mit ihren Aktionen genutzt werden. Gleichzeitig verlängern sie aber für jeden Spieler auch den Reiseweg, denn jedes Plättchen auf dem Weg bedeutet einen Schritt, egal ob man es nutzt oder nicht. Anfangs hat jeder Spieler nur eine Zugweite von bis zu drei Schritten beziehungsweise vier im Vier-Spieler-Spiel; mit der Zeit kann dieses Limit aber auch erhöht werden.
Auf dem sich dadurch mit der Zeit verändernden Weg nach Kansas City können die Spieler dann ihre Viehherde modifizieren. Gestartet wird mit einem Deck von insgesamt 14 Rindern, von denen vier auf die Hand gezogen werden. Die Aktionsfelder, auf denen man landet, ermöglichen es häufig, eine bestimmte Karte von der Hand auf den persönlichen Ablagestapel zu werfen, wenn man sie denn gerade auf der Hand hat. Dafür bekommt man dann etwas Geld. Zusätzlich haben die Felder meist eine weitere Aktion im Angebot. Diese reichen vom Kauf weiterer Rinder, über das Bauen neuer Gebäude bis hin zum Anstellen von Spezialisten. Davon gibt es in diesem Spiel drei Arten, die Cowboys, die Handwerker und die Ingenieure. Cowboys dienen hauptsächlich dem Kauf von weiteren Rindern. Hat man mehrere Cowboys angestellt, kann man die Rinder günstiger kaufen oder aber höherwertige erstehen. Nach ähnlichem Prinzip funktionieren auch die Handwerker, die beim Gebäudebau helfen. Die Ingenieure hingegen zielen auf ein weiteres Element des Spieles ab:
In Kansas City, dem Endpunkt unserer Reise mit der Herde, soll diese gewinnbringend verkauft und mit dem Zug in eine Stadt transportiert werden. Dabei zählen nur die Kühe, die beim erreichen der Stadt auf der Hand sind und davon auch jede Art nur einmal. Hat man also zwei grüne Rinder im Wert von je zwei auf der Hand, kann nur eine gewertet werden. So errechnet sich der Wert der Herde anhand der einmaligen Rinderarten auf der aktuellen Hand. Für diesen Wert wird die Rinderherde auch verkauft, anschließend in eine Eisenbahn verladen und in eine der Städte entlang einer Eisenbahnlinie geliefert. Diese haben eine bestimmte Wertigkeit angegeben und können nur (einmalig) mit Herden eben dieses Wertes oder höher beliefert werden. Doch diese Städte müssen auch erst einmal erreicht werden: dafür hat jeder Spieler seine eigene kleine Lok, die auf der Eisenbahnstrecke vorwärts gezogen werden muss. Dabei kommen die bereits erwähnten Ingenieure in Spiel, die bei einigen Aktionsfeldern das Vorwärtsziehen der Lok auf den Gleisen begünstigen und sie schneller voran kommen lassen. Hat man seine Herde verkauft und verfrachtet startet man wieder in Texas und begibt sich mit einer neuen Herde auf den weiten Weg nach Kansas City.
Das allein, macht das Spiel aber noch nicht zu einem Expertenspiel, denn es gibt noch viele Möglichkeiten, an Boni heranzukommen. So wird zum Beispiel mit jeder Auslieferung einer Herde vom Spielertableau ein Stein herunter genommen und in der belieferten Stadt platziert. Dabei wir jedes Mal eine Verbesserung freigeschaltet. Entweder erhöht man sein Handkartenlimt, verlängert seine Zugreichweite oder spielt sich Sonderaktionen frei, die zum Beispiel genutzt werden können, wenn man auf Aktionsfeldern der Mitspieler hält. Außerdem kann man diese Steine auch noch an Bahnhöfen einsetzen und sich damit weitere Verbesserungen und Boni freispielen.
Die Bahnhöfe sind entlang der Eisenbahnlinie zu finden und mit jeweils einem kleinen Schlenker zu erreichen. Dort angekommen muss man Geld zahlen, um Punkte zu erhalten und kann sich zusätzlich dazu entscheiden, einen seiner bisher eingestellten Spezialisten an diesem Bahnhof zu stationieren, falls dies noch kein anderer Spieler gemacht hat. Dafür erhält man dann ein kleines Plättchen, dass einem einen sofortigen oder permanenten Bonus einbringt, zusätzlich aber auch noch Siegpunkte bei der Endabrechnung ermöglicht. Heiß begehrt sind hier vor allem die Plättchen durch die man ein permanentes Gütesiegel erhält. Diese kann man ebenfalls als Aktion auf dem Weg erhalten und werden dafür genutzt, die Herde beim Verkauf aufzuwerten. Für jede Aufwertung geht jedoch ein Gütesiegel verloren – es sei denn, sie sind permanent, wie eben auf den Bonusplättchen vom Bahnhof.
Auch gabelt sich der Weg von Texas nach Kansas City an einigen Punkten und eröffnet somit alternative Routen für die Mitspieler. Einige dieser Wege zeichnen sich jedoch auch durch ihr gefährliches Terrain aus. Wer durch den Sumpf, die Wüste oder aber die felsigen Berge möchte, kann unter Umständen auf seinem Weg Hindernisse haben. Diese Gefahrenplättchen verlangen die Abgabe von Geld, um sie zu passieren. Dafür sind die Bauplätze nach diesen Gebieten mit einer Zusatzaktion durchaus lukrativ. Gleiches gilt auch für einen Weg, der durch das Gebiet der Indianer führt. Beide Plättchenarten können auch über Aktionen der Häuser wieder vom Spielfeld genommen werden, wobei das Entfernen der Gefahrenplättchen Geld kostet, einem aber auch Punkte einbringt. Die Tipiplättchen der Indianer können durch einen Handel mit den Indianern entfernt werden, wobei man hier entweder Geld zahlen muss oder welches erhält, je nachdem wie viele Plättchen bereits auf dem Spielplan liegen.
Diese zwei Arten von Plättchen können zudem am Ende zu Siegpunkten gemacht werden. Entweder benötigt man jeweils Pärchen von ihnen um Punkte durch die Bonusplättchen der Bahnhöfe zu erhalten, oder aber man erspielt sich im Laufe der Zeit Auftragskarten. Diese fordern eine bestimmte Zusammenstellung von Spielkomponenten am Ende des Spiels, die erfüllt sein müssen, um Punkte zu erhalten. Andernfalls erntet man sogar Minuspunkte.
Mit jedem Verkauf einer Herde in Kansas City stehen weitere Spezialisten zur Verfügung und können dann über eine Aktion kostenpflichtig eingestellt werden. Gleichzeit wird hierdurch auch der Spielfortschritt bestimmt. Nach einer bestimmten Anzahl an ins Spiel gekommenen Spezialisten wird das Spielende eingeläutet. Alle Spieler, mit Ausnahme des Spielers, der das Ende eingeläutet hat, haben dann noch genau einen Zug, bevor das Spiel endgültig vorbei ist.
Gewertet wird dann eine Vielzahl von Dingen: Fünf Münzen geben einen Punkt; gebaute Gebäude, belieferte Städte, Bahnhöfe, in die man eingekehrt ist und Gefahrenplättchen bringen Punkte wie auf dem Spielmaterial angegeben. Auch erworbene Kühe im Herdendeck steuern final noch mal Punkte hinzu; ebenso eingestellte Arbeiter, wenn sie mindesten der fünfte Spezialist dieser Art auf dem eigenen Tableau sind. Zusätzlich gibt es wie bereits erwähnt Punkte für die Bonusplättchen vom Bahnhof und den Auftragskarten und obendrein noch mal für ein freigespieltes Feld auf dem Spielertableau und die Person, die das Spielende eingeleitet hat.
Great Western Trail schafft es, zwei grundlegende und an sich einfach zu erklärende Spielmechanismen so miteinander zu verweben, dass ein strategisch sehr anspruchsvolles Spiel herauskommt, das – heruntergebrochen auf den einzelnen Spielzug eines Spielers – jedoch simpler kaum sein könnte. Erst die vielen Feinheiten und Besonderheiten, die dieses Spiel inne hält (und von denen bis ins Detail noch gar nicht alle in der Regelerklärung oben Platz gefunden haben), heben es auf den Komplexitätsgrad eines Spiels mit Experten-Niveau. Daher kommt es einem beim Spielen auch so vor, dass es sich einfach und schnell spielt, was ein erfischend leichtes Feeling für ein Spiel dieser Kategorie mit sich bringt. Es dauert seine Zeit, ja, allerdings kommt es einem durch die kurzen Züge kaum langatmig vor.
Eine große Stärke des Spiels ist die enorm hohe Variabilität. Im Grunde genommen ist der ganze Spielplan – bis auf die Belohnungen für die zu beliefernden Städte – variabel im Aufbau. Die Regel schlägt zwar eine Einstiegsaufstellung vor, diese kann jedoch auch schon ohne Bedenken ab Runde Zwei geändert werden. Dadurch ändert sich zum einen die Abfolge der neutralen Aktionsgebäude im Wegesverlauf, zum anderen können die zehn verschiedenen Gebäude, die jeder Spieler besitzt, aber auch beliebig (jedoch einheitlich unter allen Spielern) auf die Rückseite gedreht werden. Dort finden sich dann komplett andere Aktionsmöglichkeiten wieder, welche viele verschiedene Kombinationsmöglichkeiten mit sich bringen. Auch die Bonusplättchen an den Bahnhöfen liegen in verschiedener Reihenfolge aus, die Arbeiter, Tipi- und Gefahrenplättchen werden sehr randomisiert gezogen und selbst die zum Kauf stehenden Kühe und die Auftragskarten sind jedes mal verschieden. Und trotzdem schafft es dieses Spiel, gut zu funktionieren. Bisher gab es bei uns erst eine Partie, die sich irgendwie unbefriedigend angefühlt hat, weil keine Fahrt aufkam. Aber damit muss man dann auch umzugehen wissen und seine Strategie eben anpassen – was das Spiel auf jeden Fall ermöglicht.
In unterschiedlicher Spieleranzahl spielt sich das Spiel teilweise grundlegend anders. Die im Zwei-Spieler-Spiel fehlenden Gebäudeplättchen der anderen Spieler werden dadurch kompensiert, dass das Bewegungslimit der Spielfigur nicht so weit ausgebaut werden kann. Zudem gibt es Wegzölle, die man beim Passieren bestimmter Häuser an die anderen Mitspieler zahlen muss (seht ihr, ich habe noch nicht alles erklärt 😉 ), die je nach Spielerzahl unterschiedlich ausfallen. Diese Regelanpassungen sind sinnvoll und gut umgesetzt, trotzdem hat das Spiel im Zwei-Spieler-Spiel andere Reize als es sie voll besetzt hat. Und dabei sage ich bewusst andere Reize, denn es ist auch zu zweit ein sehr gutes Spiel.
Positiv hervorzuheben ist auch die grafische Aufbereitung des Spiels. Es gibt unzählige Symbole und Hinweise, die schnell zu verstehen sind und das Spiel im weiteren Verlauf selbsterklärend gestalten. Nur die genutzten roten und grünen Pfeile (zum Hinweis, ob man sich etwas nehmen darf oder abgeben muss) und die Preisangaben und deren Vergünstigungen scheinen auf den ersten Blick nicht immer intuitiv, allerdings in sich kohärent und stimmig. Das muss man halt einmal verstanden haben, dann läuft das auch wie geschmiert.
Weniger geschmiert hingegen ist da die Anleitung. Zum Erlernen des Spiel ist sie gut geschrieben; sie leitet die Spieler Schritt für Schritt durch die verschiedenen Phasen eines Zuges und erklärt dann chronologisch die möglichen Aktionen. Teilweise grundlegende Mechanismen werden allerdings ebenfalls erst hier erklärt, weil sie eben durch die Aktionen ausgelöst werden. Dieser Aufbau der Anleitung führt dann jedoch beim Spielen dazu, dass – sollten Regelfragen auftreten – das Spiel für gefühlt fünf Minuten still steht, bis man endlich mal die notwendigen Informationen in der Anleitung gefunden hat, oder aber sogar aufgegeben hat. Hier hat die Redaktion aus dem Verlagshaus Eggert Spiele/Pegasus schon mal deutlich bessere Regeln geschrieben. Bei der Fülle an Regeln (die ich ja selbst kaum hier unter kriege) sei das aber verziehen.
Autor: Alexander Pfister
Verlag: Eggert Spiele/Pegasus
Erschienen: 2016
Spieldauer: 75-150 Minuten
Spieler: 2-4 Spieler, ab 12 Jahren